Strick- und Wirkwaren

Die Strumpfstrickerei und -wirkerei in Apolda im 17. und 18. Jahrhundert

In einem Erbzinsregister aus dem Jahre 1593 war ein "David der Strickermann" verzeichnet. Es ist ein Hinweis darauf, daß bereits in dieser Zeit das Handstricken als Beruf ausgeübt wurde.

1654 und 1663 besuchten Apoldaer Strumpfhändler nachweislich die Messen in Leipzig und in Frankfurt (Oder). Aus dem Strumpfhändler wurde der Verleger, der nicht nur die Ware vertrieb, sondern auch die Wolle für die Stricker lieferte.

1589 erfand der Engländer William Lee eine Maschine zur Strumpfherstellung, die 10mal schneller als ein Handstricker arbeitete. Für das Maschinenstricken bürgerte sich der Begriff Wirken ein. 1690 wurde der erste Strumpfwirkstuhl in Apolda aufgestellt. 1714 waren schon 257 Wirkstühle in Betrieb. Apolda wurde zur bedeutendsten Manufakturstadt im Großherzogtum Sachsen-Weimar.

Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts kam es zu einem Niedergang des Gewerbes, ausgelöst durch den Verlust von Absatzgebieten, hohe Zölle im Inland und veraltete Maschinen.

Ende des 18. Jahrhunderts versuchten Verleger wie Christian Zimmermann, der sein Geschäft 1789 gründete, durch Umrüstung der Wirkstühle für neue Garne und Einführung neuartiger Maschinen die Wirkerei mit einem größeren Warenangebot zu forcieren.

Die Wirkwarenfabrikation in Apolda im 19. Jahrhundert

Wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung der Apoldaer Strumpfwirkerei zur Textilindustrie waren der Beitritt des Großherzogtums zum Deutschen Zollverein 1834, die Errichtung einer Postexpedition in der Stadt 1844 sowie der Eisenbahnanschluß im Jahre 1846. 1856 wurde auf 1373 Wirkstühlen, darunter viele technische Neuerungen, gearbeitet.

Der allgemeine Aufschwung der Wirkerei führte zwischen 1850 und 1856 zu einer enormen räumlichen Vergrößerung des Verlegergeschäftes Zimmermann. Zwar waren weiterhin Wirker-meister in eigenen kleinen Werkstätten für den Verleger tätig, aber die Firma ließ zunehmend Wirkstühle in ihren Räumlichkeiten aufstellen und gegen Lohn darauf arbeiten. Nach der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der hölzerne Wirkstuhl nach und nach durch mechanische Wirkstühle mit gußeisernem Unterbau ersetzt. 1855 importierte Christian Zimmermann & Sohn Kettenwirkmaschinen (Fangkettenstühle) aus England. Auf ihnen wurden Stoffe für Damenjäckchen (Spenzer) gewirkt, die nach der französischen Schauspielerin RACHEL FÈLIX (1820 - 1858) den Modellnamen "Rachel" erhielten. Den Namen übertrug man auch auf diesen Maschinentyp und seine späteren Entwicklungen.

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts prägten Fabriken und Werkstätten (Hausindustrie) die Apoldaer Textilproduktion. 1866 baute die Firma Christian Zimmermann das erste große Fabrikgebäude, ausgestattet mit Gasbeleuchtung und einer Dampfmaschine zum Betreiben der Wirkmaschinen. Waren bis dahin für viele die Wohn- und die Arbeitsstätte unter einem Dach gewesen, so mußten sich nun Arbeiter und Meister den Zwängen einer Fabrik unterordnen. Die Apoldaer Hausindustrie basierte auf dem herkömmlichen Verlagssystem, allerdings mußten die Meister seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts die Maschinen kaufen.

Die größten Firmen produzierten bald über den Apoldaer Bedarf hinaus. In der Entwicklung und im Export von Raschelwirkmaschinen waren die Apoldaer Textilmaschinenfirmen lange führend. In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde in Amerika und England die Strickmaschine entwickelt. Sie war platzsparend, leicht zu handhaben und billiger in der Anschaffung als große Wirkmaschinen. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts war sie die dominierende Textilmaschine Apoldas.

Die auf verschiedene Arbeitsvorgänge spezialisiertenLohnmeister erhielten die Garne vom Verleger oder Fabrikanten, der auch die fertige Ware in den Handel brachte. Mit dem Einsatz neuer, leistungsstarker Maschinen verlor die Strumpfwirkerei in Apolda zugunsten der Produktion modischer Bekleidung ihre einstige Bedeutung. Modetrends wurden zum Regulativ der Apoldaer Textilfabrikation. Es entstand eine starken Konjunkturschwankungen unterliegende Saisonindustrie, die den Textilarbeitern einen ständigen Wechsel zwischen Arbeitslosigkeit und Arbeitszwang mit Überstunden und Sonntagsarbeit brachte. Zwischen 1865 und 1890 entstanden aus Schlosserwerkstätten, die sich auf die Herstellung und Reparatur von Wirkstühlen spezialisiert hatten, Maschinenfabriken.

Im ausgehenden 19. Jahrhundert waren fast alle Erwerbstätigen und auch viele Bewohner der umliegenden Dörfer "in der Wolle" oder "für die Wolle" beschäftigt. 44% von ihnen arbeiteten direkt in der Wollwarenfabrikation, andere waren in Handwerksbetrieben, Dienstleistungsunternehmen oder in Industriezweigen tätig, die sich alle auf die Bedürfnisse der Wirk- und Strickwarenindustrie eingestellt hatten.

Strick- und Wirkwarenindustrie in Apolda zwischen 1914 und 1945

Zu Beginn des 1. Weltkrieges wurde Bekleidung für den Heeresbedarf hergestellt, doch 1917 war die Hälfte aller Apoldaer Textilmaschinen außer Betrieb. Nach dem Krieg brachten der erhöhte Bedarf an Textilien und die beginnende Inflation zunächst eine Konjunktur, der Maschinenpark wurde auf die Produktion hohen Gewinn bringender Modeartikel eingerichtet.

Die Weltwirtschaftskrise 1929 - 1932 führte zu Lohnkürzungen, Massen­entlassungen und Firmen­zusammen­brüchen. Während andere Industrie­zweige aufgrund der Rüstungs­produktion unter dem national­sozial­istischen Regime florierten, blieb die Apoldaer Textil­industrie in der Krise. Anfang 1934 standen 75% der Haupt­produktions­maschinen still. Die überlebenden Betriebe verkleinerten ihre Produktions- und Lagerkapazitäten. 1938 verkaufte die Firma Zimmermann ihren 1880 errichteten Fabrikbau in der Bahnhof­straße an die Rheinmetall-Borsig AG, die das Gebäude ausschließlich für die Rüstungsproduktion nutzte. Im 2. Weltkrieg wurden viele Fabrikräume als Lagerhallen oder Lazaretts genutzt oder dienten der Unterbringung von Zwangsarbeitern und Umsiedlern.

Die Strick- und Wirkwarenindustrie in Apolda zwischen 1945 und1990

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges kam die Produktion trotz Garnmangel, ständigen Stromausfällen und fehlenden Facharbeitern langsam wieder in Gang. Anfang der 50er Jahre gab es den ersten volkseigenen Betrieb (VEB), der aus dem Zusammenschluß mehrerer enteigneter Unternehmen entstanden war, 90 Privatbetriebe und ca. 600 Werkstätten von Lohnmeistern.

Zu diesem Zeitpunkt waren mehr als 60% der Apoldaer Textilmaschinen älter als 20 Jahre. Mit dem ersten "Halbjahresplan" hatte Mitte 1948 die Planwirtschaft eingesetzt. In den Werkstätten der Lohnmeister, die als "private Handwerksbetriebe" eingestuft waren, arbeitete man in traditioneller Weise sowohl für VEB als auch für Privatbetriebe. 1955 erfolgte ein staatlicher Zugriff auf diese Form des privaten Textilgewerbes. Bis 1959 entstanden 17 Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH). Maschinen und Anlagen der Lohnmeister wurden durch Ankauf genossenschaftlicher Besitz.

Apolda hatte im DDR-Maßstab einen sehr hohen Anteil an Privatbetrieben. Gemäß dem Ziel, das Privateigentum in der Industrie zu begrenzen, mußten ab 1956 die Privatbetriebe mehr oder weniger freiwillig eine staatliche Beteiligung aufnehmen.

1972 beschlossen SED und Ministerrat der DDR "Maßnahmen zur Weiterentwicklung der sozialistischen Produktions­verhältnisse und zur Beseitigung von Erscheinungen der Rekapitalisierung". Bis zum Mai 1972 entstanden in Apolda aus den PGH und Betrieben mit staatlicher Beteiligung 61 volkseigene Betriebe. Nach weiteren Umstrukturierungen gab es ab 1985 noch 7 VEB, verteilt auf 155 Produktionsstätten.

Im VEB Thüringer Obertrikotagen Apolda, dem größten Maschenwarenhersteller der DDR, waren 1988 2963 Arbeiter und Angestellte beschäftigt.

1990 bedeutete das Ende der DDR auch das Ende der Planwirtschaft und der VEB, tausende Arbeitsplätze gingen verloren. Die Tradition des Strickergewerbes wurde dennoch weitergeführt: Im Frühjahr 2001 zählte Apolda 24 Privatbetriebe mit rund 300 Beschäftigten.

Stadtmuseum

Das Stadtmuseum zeigt in seiner Abteilung "Geschichte der Apoldaer Textilindustrie" die Entwicklung des örtlichen Wirker- und Strickergewerbes. Die Wirkerei und Strickerei war mehr als 400 Jahre der Haupterwerbszweig der Apoldaer wie auch der Bewohner umliegender Ortschaften. Am Beispiel des Werdeganges eines renommierten Unternehmens werden die Höhen und Tiefen dieses Industriezweiges dargestellt. Eine Vielzahl von Maschinen, Mustern und Bekleidungsstücken veranschaulichen den Entwicklungsprozeß, der sowohl die Stadt als auch ihre Bürger prägte.